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Ein Gespräch mit Entwickler und elysia – Inhaber Ruben Tilgner
Von Fritz Fey, Fotos: Fritz Fey
(Mit freundlicher Genehmigung vom Studio Magazin)
Es gibt in unserer Branche auffällig viele Leidenschaftstäter, sowohl auf der Hersteller- als auch auf der Anwenderseite, die mit leuchtenden Augen über ihre Arbeit sprechen. In der überwiegenden Zahl der Fäl-le suche ich meine Gesprächspartner auf der Anwenderseite, aber nicht immer kann man Anwender und Entwickler so leicht auseinanderhalten, denn es gibt auch Zeitgenossen, die sich – aus gutem Grund – auf beiden Seiten bewegen. Einer dieser Audio-Enthusiasten, die das Privileg genießen, sich das Equipment, das sie gerne benutzen würden, selbst bauen zu können, heißt Ruben Tilgner und ist Inhaber des deut-schen Analoggeräte-Spezialisten elysia, der seit 2006 mit dem klar definierten Ziel antritt, der Analogtechnik ein innovatives, zukunftsweisendes Gesicht zu geben. Diskret aufgebaute Class-A-Technik bildet die Basis für eine Klangqualität, wie sie sich Ruben Tilgner als Anwender wünscht, ohne dabei zu übersehen, dass das zeitgemäße Studio von der DAW, sprich, der Digitaltechnik, dominiert wird.
Nach längerer Corona-Pause nahm ich die Gelegenheit wahr, Ruben in seiner High-Tech-Hexenküche zu besuchen. Mit unübersehbarem Glanz in seinen Augen zeigt er mir die auf Autarkie optimierte Fertigungsabteilung, die inzwischen auch von automatisierter SMD-Bestückung und Metallverarbeitung profitiert. Aber eigentlich wollen wir ja den Tag wie üblich mit 19-Zoll-Erotik und Nerd-Talk verbringen, wozu wir uns in einen sehr speziellen Raum begeben, der aufgrund seines sorgsamen akustischen Ausbaus alternativ als Kreativität spendender Aufnahmeraum, Besprechungszimmer oder gemütliche Lounge genutzt werden kann. Ein paar Türen weiter befindet sich eine Tonregie, die mit auffällig vielen elysia-Geräten ausgestattet ist, ganz so, als gäbe es eine Quelle in unmittelbarer Nähe.
Der kleine Ruben, der sich schon in jungen Jahren für Lichteffekte interessierte und ganz genau wissen wollte, woher die Geräusche aus seinem Spielzeugauto kommen, gehört heute zu einer vom Aussterben bedrohten Spezies von Experten, die als die Hüter der Analogtechnik gelten und mit Verstand und Herz dafür sorgen, dass wertvolles Know-how im Dienste des guten Klangs nicht verlorengeht. Wie die meisten meiner Interviews beginnt auch dieses mit der Frage danach, wie alles begann… in diesem Fall mit einem in seine Einzelteile zerlegten Spielzeugauto!
Ruben Tilgner: Ich war schon immer neugierig herauszufinden, wie technische Dinge funktionieren. Als kleiner Junge bekam ich zu Weihnachten ein Spielzeugauto geschenkt und ich wollte herausfinden, woher die Geräusche kamen, die es machte. Eine Woche später fuhr es nicht mehr, denn ich hatte es in seine Bestandteile zerlegt. Da war ich vielleicht sechs Jahre alt. Ein paar Jahre später kam die erste Berührung mit Elektronik durch meinen Cousin, der eine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker machte. Mein Vater unterstützte mich sehr und erkannte meine Begeisterung. Mit zehn Jahren fing ich an Klavierunterricht zu nehmen, so dass man sich fast denken kann, wie Musik und Technik in meinem Kopf Verbindung aufnahmen. Merkwürdigerweise war ich anfangs mehr auf Licht fixiert, auf alles, was blinkte und leuchtete.
Die Lichtorgeln und Disco-Kugeln in Partykellern motivierten mich, in meinem Kinderzimmer mit Licht-effekten zu experimentieren, zum Beispiel mit einer rotierenden Fahrradlampe auf meinem Plattenspieler. Anscheinend war ich recht talentiert und hatte sehr schnell eine kleine Werkstatt im Keller zum Basteln und Löten. Man muss bedenken, dass es noch kein YouTube gab, sondern ich hatte drei oder vier Bücher und probierte einfach wild darauf los. Mit sechzehn fing ich eine Lehre als Radio- und Fernsehtechniker an, praktisch mein Einstieg in die ‚richtige‘ Welt der Elektronik.
Schon am ersten oder zweiten Tag meiner Lehre kam ich nach Hause und mein Vater sagte, dass der Fernseher nicht mehr liefe. Ich stellte fest, dass im Netzteil irgendwelche Dioden kaputt waren, holte die Ersatzteile von meinem Meister, und der Fernseher funktionierte wieder. Aus dieser Zeit konnte ich vom Technischen her nicht so viel mitnehmen, da der Ausbildungsbetrieb nicht so der Knaller war, aber ich Nachhinein betrachtet, war das, aufgrund meiner persönlichen Initiative, die perfekte Grundlage für die analoge Schaltungstechnik, da alle Geräte in der Unterhaltungselektronik noch diskret aufgebaut waren. Wenn man damals einen Verstärker aufschraubte, fand man keine ICs, sondern alles war mit Transistoren und Widerständen aufgebaut
Ich habe noch immer ein Buch aus dieser Zeit, in das ich gerne reinschaue, denn man staunt, wie krass die Schaltungstechnik damals war, die die Entwickler draufhatten. Ich habe einen großen Respekt vor den Technikern, die damals Farbfernseher oder Videorecorder entwickelten. Das waren richtige Cracks. Parallel dazu kam ich über Klavier und E-Bass dazu, in ersten Bands zu spielen, einige Jahre als Bassist mit selbst komponierten Songs, später als Keyboarder. Was wir allerdings als Erstes hatten, war natürlich eine Lichtanlage mit entsprechendem Mischer, alles selbst gebaut.
Eigentlich hatten wir mehr Licht als Ton (lacht). Während der Lehrzeit stellte ich schon fest, dass dieses reine Reparieren auf Dau-er langweilig werden würde, weil irgendwann alles auf Routine und Erfahrung basierte – immer die gleichen Fehler, die man praktisch im Schlaf kannte. Nach der Lehre kamen Zivildienst und Fachabitur. Während der Abiturzeit erzählte mir ein Kumpel, dass er da so eine Firma kennt, wo man vielleicht neben der Schule jobben könnte. Die Firma hieß SPL und war ganz in der Nähe. Also fing ich an, dort in der Produktion mitzuarbeiten – Platinen bestücken, löten, testen. Irgendwann kam die Frage, ob ich nicht fest zum Team gehören wollte. Das war eine tolle Zeit, ein junges Team, aber auch erfolgreiche Produkte in genau dem Bereich, in dem ich arbeiten wollte, ohne es ja anfangs tatsächlich zu wis-sen. Mit einem Freund zusammen entstand die Idee für so eine Art ‚Exciter‘, den wir ‚Freshman‘ nannten.
Das Thema erledigte sich dann aber erst einmal, denn SPL engagierte mich fest. Ich arbeitete mich recht schnell ein und begann, das Wesen der Dynamikbearbeitung zu verstehen, womit ich vorher ja noch keine Berührung hatte. Ich sah aber auch, wie Geräte aufgebaut waren und wie man das Ganze produktionseffizient gestaltete. Über die Überarbeitung bestehender Produkte kam ich dann auch zu ganz eigenständigen Entwicklungen wie zum Beispiel dem Dynamaxx, der 1997 auf den Markt kam. Die Vorgabe war, einen Kompressor so einfach wie möglich zu konzipieren. Das Ding hat schon prima funktioniert, auch mit komplexen Signalen und wurde viel im Live-Bereich eingesetzt. Es machte unheimlich viel Spaß, an den Details einer solchen Schaltung zu arbeiten und zu erleben, wie die Bauteile miteinander ‚kommunizieren‘. Jedenfalls merkte ich, dass meine musikalische Ader plötzlich sehr wichtig wurde, die Regelvorgänge unter diesem Gesichtspunkt zu gestalten.
Fritz Fey: Du bist ja noch sehr lange bei SPL als Entwickler geblieben, bevor ich von Deinen Plänen erfuhr, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Brauchtest Du diesen Freiraum für Deine persönliche Entwicklung?
Ruben Tilgner: Nach zehn Jahren hatte ich natürlich auch meinen eigenen Kopf und es war nicht mehr so einfach für mich, ‚im Auftrag‘ zu entwickeln. Mein späterer Partner Dominik Klaßen wollte mich ursprünglich dafür gewinnen, für ihn einen Bass-Preamp zu bauen. Dadurch lernten wir uns kennen. Der Preamp wurde nie gebaut, aber ich fing an, immer mehr eigene Ideen in Schaltungen zu realisieren, die später die Grundlage für die Vision des ersten elysia-Produktes, des alpha Kompressors, bildeten.
Fritz Fey: Vorhin sprachen wir von der Vereinfachung von Dynamikbearbeitung. Der alpha wurde mit gefühlt achtzig Parametern das krasse Gegenteil davon (grinst)…
Ruben Tilgner: Der alpha sollte eine hochqualitative Mastering-Toolbox werden, aber die Grundqualität der Stufen entstand bei der Ideensammlung für Dominiks Bass Preamp. Das war eine solche Qualitätssteigerung, dass sie praktisch danach rief, Grundlage für einen komplexen Schaltungsaufbau zu werden. Das trieb meinen Innovationsgeist an, wie man ein Gerät herstellen könnte, das in der Summe anders oder besser als ein normaler Kompressor arbeitet. Die erste Skizze, die ich dazu machte, wurde hinter-her fast 1:1 der alpha Kompressor. Ich fuhr mit dem Prototypen in diverse Studios um Reaktionen einzusammeln, denn ich war ja gar kein Mastering-Ingenieur. Vielmehr betrachtete ich das ja mehr von der technischen Seite, wollte aber auch etwas Neues schaffen, ohne von Anwendern danach gefragt worden zu sein
Unzufriedenheit ist eine gute Triebfeder für Innovation. Im Mastering wurden eigentlich ‚Recording‘-Kompressoren eingesetzt, die oft bei einem dB schon hörbar wurden. Da musste doch mehr gehen. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch regelmäßig als Live-Mischer unterwegs und die analogen Kompressoren, die da im Einsatz waren, gefielen mir eigentlich nicht so richtig. Gesang fordert sehr viel Hub von einem Kompressor, denn die Kräfte, die bei einem solchen Konzert wirken, müssen ja irgendwie gebändigt werden.
Als ich meinen alpha-Prototypen mitnahm, merkte ich, wie absolut vorne die Stimme stand, ohne dass man einen Regelvorgang oder gar eine Signalverschlechterung hören konnte. So ein Kompressor sollte eben auch mal 10 dB Hub machen können, ohne dass man groß etwas davon mitbekommt. Das passte im Endeffekt auch zum Mastering, auch wenn man dort sicher keine 10 dB regelt. Wenn Du zwei Autos betrachtest, die 100 fahren, ist es ein anderes Gefühl in der S-Klasse als in einem Kleinwagen zu sitzen. Eigentlich hat der alpha damit die gesamte Klangphilosophie der Firma definiert.
Fritz Fey: Der alpha war auch für mich damals ein echtes Statement: ‚Das ist das, was wir können‘. Aus dieser Vorlage leiteten sich ja im Prinzip alle Folgeprodukte ab, die dann, nebenbei gesagt, auch bezahlbarer wurden (grinst).
Ruben Tilgner: Wenn man den mechanischen Aufwand bei diesem Gerät sieht, der auch heute noch sehr viel Arbeit in der Herstellung bedeutet, weiß man, dass wir ein Zeichen in jeder Hinsicht setzen wollten. In der Zeit der Entstehung war es im Mastering zum Beispiel üblich, die A/D-Wandler zu überfahren, um richtig laut zu sein. Meine Idee war, das eleganter und regelbar zu lösen, durch den Einbau eines ‚Softclippers‘.
Ich war ja eigentlich auch kaum zu bremsen mit meinem Willen zur Innovation. Ich weiß eben nicht, ob ein Mastering-Ingenieur mit dieser Idee zu mir gekommen wäre. Ich wollte einfach viel anbieten. Das ungebrochene Interesse an diesem Gerät zeigt bis heute, dass es gut war, so viele Gedanken in ein Produkt zu stecken und die Qualität auf die Spitze zu treiben. Der Anwender kann eine solche Qualität, so glaube ich, nicht definieren. Ich brauche aber ein musikalisches und technisches Verständnis, um eine solche Notwendigkeit zu erkennen. Ich hat-te selbst eine Vision, wie ein solches Gerät klingen müsste – größer, offener, spektakulärer, emotionaler. Diese Vision treibt mich bis heute an, die Richtung zu finden, auch wenn die Lösung manchmal nicht in einem magischen High-Tech-Bauteil, sondern ganz profan in der Konzeption des Netzteils liegt.
Fritz Fey: Das war ein weiter Weg, vom Jungen, der eine Fahrradlampe auf einem Plattenspieler rotieren lässt, zu einem Entwickler, der Mastering-Grade-Geräte entwirft…
Ruben Tilgner: Das stimmt (lächelt). In den letzten Jahren bei SPL hatte ich begon-nen, mich mit diskreter Schaltungstechnik zu beschäftigen. Die ersten Produkte, die ich dort entwickelte, waren eher klassisch mit Op-Amps aufgebaut. Danach musste einfach der nächste Schritt kommen, den ich im diskreten Schaltungsaufbau sah. Ich habe mir das meiste dazu Notwendige selbst beigebracht. In der SPL Gainstation arbeitet zum Beispiel ein diskreter Operationsverstärker, den ich entwickelt hatte. Davor lagen aber viele Versuche, Messungen, Hörsitzungen. Es ist ein bisschen wie Lego. Manchmal versteht man nicht auf Anhieb, was in einer solchen Experimentalschaltung passiert.
Fritz Fey: Ich übersetze mal mit Leidenschaft, Motivation, Fleiß, Durchhaltvermögen… man muss eben dahin gehen, wo es wehtut. Morgens um vier eine Idee haben und dann dranbleiben… oder?
uben Tilgner: An Samstagen, wenn keiner in der Firma war, hab ich ausprobiert und Messreihen durchgeführt. Am alpha arbeitete ich schon im Keller meiner Eltern, als ich noch bei SPL war. Das Entscheidende ist eigentlich, ein Ziel zu haben. Neun Fehlversuche und der zehnte Versuch ist es dann. Wer beim dritten Mal aufgibt, erreicht eben auch nichts. Man muss die Fehlversuche überwinden und sich nicht entmutigen lassen. Zum Glück gab es in meiner Lehrzeit noch analoge Technik. Wer heute in das Thema einsteigen möchte, hat es sicher schwerer.
Fritz Fey: Ich habe aus der jahrzehntelangen Freundschaft mit Gerd Jüngling mitgenommen, dass Analogtechnik kei-ne nüchterne Wissenschaft, sondern ein komplexer ‚lebender‘ Organismus ist…
Ruben Tilgner: Das stimmt. Wenn Du zum Beispiel einen Kondensator nimmst, davon gibt es zig verschiedene Bauarten. Man kann zwar alles messen, aber man muss Bauteileigenschaften erst einmal in die Audioebene übertragen, da passieren oft unerwartete Dinge. Aber wie ich schon sagte, man muss ein Ziel haben und wissen, wohin man als Entwickler will. Als Toningenieur brauche ich ja auch eine Klangvorstellung. Bei mir kam diese Klang-philosophie erst mit Ende 20 ins Spiel.
Fritz Fey: Ist es immer Deine ureigene Vision oder hörst Du auch dem Markt zu? Anwender sind nach meiner Erfahrung nicht so zielgerichtet in ihrer Wunschvorstellung. Wie findest Du denn raus, was der Markt will?
Ruben Tilgner: Wenn man so fragt, hätte es den SPL Transient Designer wahrscheinlich nie gegeben. Kein Anwender hätte die Idee für dieses Produkt gehabt. Es ist natürlich auch immer ein bisschen Marktanalyse im Spiel, aber ich sehe mich viel mehr als Innovator. Meine Idee für den Transient Designer entstand aus einem Hörerlebnis heraus. Ich saß damals in meinem kleinen Homestudio und hörte das aktuelle Michael Jackson Album, dass unheimlich knallige Transienten hatte. Wie machen die das denn? Ich hatte nicht mal einen Kompressor, mit dem ich hätte experimentieren können.
Also selbst bauen. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich auf einem Steckboard einen Prototypen entwickelt, der einen Attack- und einen Sustainregler hatte. Es gibt zwar inzwischen jede Menge digitale ‚Nachbauten‘ dieses Konzepts, aber der SPL Transient Designer und der elysia envelope sind praktisch die analogen Originale.
Beim alpha Compressor habe ich zunächst auch niemanden gefragt. Der mpressor war schon eine Art Ableger des alpha, entstanden aus der Erfahrung, welch ‚kranke‘ Einstellungen manche Ingenieure drehen, auf die ich nie gekommen wäre. Insofern ist der mpressor ‚vom Markt bestellt‘ worden, am Ende aber mit Funktionen, auf die Anwender wiederum nicht gekommen wären.
Fritz Fey: Es gibt ja inzwischen diverse Plug-In-Emulationen Deiner Geräte. Schaffst Du Dir da nicht Konkurrenz, die ja gar nicht sein müsste?
Ruben Tilgner: Es ist eine andere Arbeitsplattform, auf der sich sehr viele Leute bewegen. Es gibt aber auch noch viele andere, die analog arbeiten möchten, zumindest aber hybrid. Das Plug-In ist eine digitale Umsetzung der Idee des analogen Originals. Wenn man das Beispiel des mpressors noch einmal bemüht, kann man mit diesem Gerät sehr verrückte Sachen anstellen, was das Plug-In dann eben auch kann. Dadurch hat die digitale Kreation ihre unbedingte Daseinsberechtigung, weil sie sich von anderen Kompressor-Plug-Ins deutlich unterscheidet. Wenn man aber in die Feinheiten geht, merkt man, dass die Hardware doch auf einem anderen Niveau spielt. Aber da sich nicht jeder für ein paar Tausender einen solchen Hardware-Kompressor leisten kann, ist es gut, einen ‚digitalen Ersatz‘ zu haben, anders nutzbar durch die vielen möglichen Instanzen.
Wir übergeben den Programmierern die Hardware mit bestimmten Messpunkten in der Schaltung, so dass der Grundcharakter eines Gerätes sehr genau getroffen wird. Trotzdem bleiben Unterschiede, da ein analoger Verstärker nicht so genau im Detail nachemuliert werden kann, ohne dass die CPU-Leistung komplett aufgefressen würde. Die Steuerspannung in einem Kompressor lässt sich digital sehr gut abbilden, aber der VCA kann nicht bis ins Letzte nachgebildet werden, schon allein, was die Bandbreite betrifft. Beim Messzyklus für den alpha compressor zum Beispiel verwende ich ein 100-kHz-Rechtecksignal und schaue mir an, wie die Flanke auf dem Oszilloskop aussieht. Da werden Harmonische erzeugt, die bis 3 oder 4 MHz ge-hen. In dieser Bandbreite arbeiten die Verstärker. Da macht die Analogtechnik dann eben den besonderen Unterschied.
Fritz Fey: Ist so ein Plug-In auch eine Art Werbemittel für das analoge Gerät?
Ruben Tilgner: Auf jeden Fall. Ich weiß von Anwendern, die zuerst das Plug-In genutzt haben, um sich im Nachhinein für das analoge Gerät zu entscheiden. Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht vermutet, dass sich das in diese Richtung entwickeln könnte. In unserem Bereich mit 19-Zoll-Geräten und 500er-Modulen ist das noch eher denkbar als bei analogen Mischpulten, die preislich Lichtjahre weit weg vom Plug-In sind oder auch schon gar nicht mehr gebaut werden.
Fritz Fey: Den Löwenanteil der Plug-Ins bilden Emulationen von einem analogen Original. Könnte das irgendwann darin münden, dass analoge Geräte nur noch als Vorlage für Plug-Ins entwickelt werden?
Ruben Tilgner: Grundsätzlich stößt die Digitaltechnik aus meiner Sicht schon seit einigen Jahren an ihre Grenzen, weil die Schwemme an Software und digitaler Hardware nicht das erreicht hat, was gute analoge Produkte können. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch im Analogbereich eine gewisse Stagnation.
Auch da kopieren sich die analogen Gerätekonzepte teilweise selbst. Vieles wurde schon vor dreißig, vierzig Jahren im Grundsatz entwickelt. Natürlich sind das zum Teil hervorragende Geräte, aber mir fehlt die Innovation, das andere Konzept, die Eigenständigkeit. Da ist dann die Digitaltechnik tatsächlich zum Teil ‚origineller‘. Die Frage ist also nicht, ob die Analogtechnik ihre Daseinsberechtigung behält, sondern, wo der Innovationsprozess bleibt. Klang für sich gesehen ist ja nicht so wahnsinnig innovativ, aber natürlich eine Domäne der Analogtechnik.
Fritz Fey: Die Plug-Ins repräsentieren heute eine unglaubliche Vielfalt, gefühlte hundert Equalizer, Kompressoren, Hallgeräte, Sättigungs- und Bandmaschinen-Simulatoren. Alles in unüberschaubarer Menge und für unglaublich wenig Geld. Was spricht da noch für die Analogtechnik mit ihrem überschaubaren Angebot für meistens im Verhältnis viel Geld?
Ruben Tilgner: Es werden viele Versprechen in der digitalen Welt nicht eingelöst und man kann sich ganz viele EQ-Plug-Ins kaufen, ohne eine echte Verbesserung des Klangs zu erleben. Wer einmal mit einem guten analogen EQ gearbeitet hat, wird wissen, wie groß die Qualitätssprünge auf eine neue Klangebene sein können. Die Kunst ist, die wenigen analogen Werkzeuge so effizient wie möglich einzusetzen, denn das Geheimnis liegt nicht im Öffnen ganz vieler Instanzen oder in der Speicherbarkeit von Einstellungen.
Wenn ich mit analogen Geräten aufnehme, also auch eine Klangentscheidung treffe, brauche ich in der DAW nur noch den Regler hochziehen und das Signal ist da. Da spare ich dann wirklich Zeit. Wie ich schon sagte, wird es in der Welt jenseits der 20 kHz erst richtig spannend. Diese Unterschiede hört man auch schon beim Vergleich von analogen Geräten, die diskret und nicht mit integrierten Schaltungen aufgebaut sind. Analog ist ja nicht per se bes-ser. Es gibt Verstärker, die 10 Volt pro Mikrosekunde machen.
Bei einer Abtastrate von 48 kHz sind wir bei etwa 20 Mikrosekunden von einem Sample zum nächsten. Von diesem Auflösungsbereich sprechen wir und das wird in der Analogtechnik oft als Mojo oder emotionale Ebene bezeichnet. Es ist ein Unterschied, ob ich ein analog fertig aufbereitetes Signal digital auf-zeichne oder erst auf der digitalen Ebene bearbeite. Man muss einfach nach stimmigen Ansätzen suchen, wie sich analoge Technik möglichst perfekt in die moderne DAW-Umgebung integrieren lässt. Ein großes analoges Mischpult ist sicher nicht die Lösung, schon allein aus wirtschaftlichen Gründen.
Fritz Fey: Nicht nur Plug-Ins schmücken sich mit der Emulation berühmter analoger Klassiker und Marken, sondern es gibt auch zahlreiche Analog-Entwicklungen, die von historischen Schaltungen ‚inspiriert‘ sind.
Ruben Tilgner: Das ist richtig. Ich glaube, jeder Hersteller hat seinen eigenen ‚Fingerabdruck‘ oder seine eigene Klangphilosophie und ich finde es auch legitim, einen bewährten Klangcharakter in ein neues Gerät zu implantieren. Schade ist halt nur, dass man anteilig nur sehr wenige neue Entwicklungen und Ideen sieht. Es gibt so viele 1176-Clones oder Fairchild-Nach-bauten. Das klingt alles ohne Frage sehr schön, aber ist das wirklich der Weg für die Analogtechnik?
Die Schaltpläne dieser Klassiker sind zum Teil öffentlich und es ist dann scheinbar naheliegend, so etwas nachzubauen, vielleicht sogar zu verbessern. So wie die Analogwelt sich zum Teil selbst kopiert, so wie die digitale Welt Analogtechnik kopiert, so kopieren sich Musik und Klang ja auch ständig.
Ich vermisse da Inspiration und Innovation. Die Tutorial-Videos stellen, vielleicht sogar unfreiwillig, ständig Regeln auf und liefern Kochrezepte dafür, wie etwas zu sein hat. Auch da kopieren sich ständig Arbeitsweisen. Vielleicht ist es ja auch zu unbequem oder zu ‚riskant‘, die von Profis vorgebeteten Wege zu verlassen?
Fritz Fey: Das hat natürlich auch mit der ‚Amateurisierung‘ der Branche zu tun, mit lauter Leuten, die schnell ‚nach oben‘ wollen und dann auf die Leute schauen, die schon oben sind.
Ruben Tilgner: Die Leute, die schon oben sind, haben sicher viel experimentiert, um dahin zu kommen. Diejenigen, die dem nacheifern, vergessen, dass man keine Schablone über beliebige musikalische Darbietungen legen und damit Erfolg oder ‚Qualität‘ kopieren kann. Man muss sich jedes Mal neu orientieren, was zeigt, wie elementar wichtig es ist, was vor dem Mikrofon passiert und das man immer gefordert ist, individuell darauf zu reagieren.
Vielleicht klingt das nicht so populär, aber ich fände es eben schon geiler, wenn die Aufnahmen nur von Leuten gemacht würden, die es draufhaben. Aufgrund der damaligen Studiostruktur passierte das praktisch zwangsweise. Dazu kommt, dass sich die Schallplattenindustrie das Zepter aus der Hand hat nehmen lassen und sich damit selbst einer wichtigen Aufgabe beraubt hat, nämlich Talente zu entdecken und zu fördern. Der Markt scheint heute von Leuten bestimmt zu sein, die alles können, aber alles nur ein bisschen…
Fritz Fey: Wenn ich Deine Produktlinie betrachte, sehe ich EQs, Dynamikbearbeitung, Sättigung, viele Sonderformen und -funktionen… was bedeutet denn ‚Inno-vation‘ für Dich in Bezug auf analoge Geräte? Es müsste ja etwas sein, das bisher bekannte Grenzen durchbricht…
Ruben Tilgner: Es ist nicht der völlig neue Prozessor, den man sich ausdenkt, es ist eher die Nutzung der Geräte. Da muss man etwas größer denken und betrachten, wie Musik entsteht oder erschaffen wird. Ich würde das mit der MIDI-Programmierung einer Gitarre vergleichen, die nicht das kann, was ein echter Gitarrist spielt.
Der Gitarrist formt seinen Klang mit Effektgeräten direkt beim Spiel und als kreative Reaktion. Durch die Haptik und den Sound entsteht auch im Studio mit analogen Geräten diese musikalisch-klangliche Kreativität. Das beste Beispiel sind analoge Synthesizer, die Anfang der 80er populär wurden. Obwohl es haufenweise digitale Emulationen gibt, sind analoge ‚Neu- oder Nachbauten‘ gerade wieder extrem gefragt.
Einmal wegen der Klangästhetik, die wirklich anders ist, aber auch wegen der Haptik. Wenn man das mit den digitalen Möglichkeiten richtig verknüpft, bekommt die Analogtechnik doch wieder eine herausragende Bedeutung.
Fritz Fey: Ich führe darauf die Existenz zahlreicher digitaler Controller zurück, die zum Teil sogar exakt die Oberfläche des Plug-Ins abbilden. Wäre es denn auch vorstellbar, eine analoge Blackbox mit einem Plug-In zu steuern und so die Vorteile beider Welten zu vereinigen?
Ruben Tilgner: Technisch ist das sicher so-wohl denk- als auch machbar. Man muss überlegen, wie man das sinnvoll in einen Produktionsprozess einbindet, denn diese Kombination setzt ja voraus, dass ich ein analoges Klangergebnis nachträglich editieren möchte. Die analoge Technik leidet natürlich unter dem fehlenden Recall. Für mich ist das so: je mehr ich Analogtechnik einsetze, desto mehr Entscheidungen müssen final schon zu einem frühen Zeitpunkt getroffen werden. Zur Zeit der analogen Bandmaschinen war man auf 24 Spuren beschränkt und musste sich eine Strategie überlegen, wie man damit auskommt.
Diese Limitierung ist genau das, was einen kreativ herausfordert. In der DAW laufen locker 80 Spuren für irgendein Liedchen, mit mindestens zwei oder drei Plug-Ins auf jedem Kanal. Wenn man sich die Anzahl der Parameter mal vor Augen führt, die man bedienen und im Auge behalten muss, ist das kaum vorstellbar. Meine analoge Idee ist, anders zu arbeiten, mit analoger Bearbeitung für die Aufnahme, mit der man sich festlegt. Dann braucht es auch kein Recall, denn alles, was aufgenommen wurde, klingt schon so, wie es soll. Warum müssen alle Klangentscheidungen unbedingt nach hinten verschoben werden? Dazu muss man natürlich auch eine Klangvorstellung und ein musikalisches Ziel entwickeln, und daran mangelt es heute möglicherweise.
Fritz Fey: Hast Du denn neue Gerätekonzepte im Kopf, über die Du schon reden kannst?
Ruben Tilgner: Ja, aber noch ganz vage. Ich sag es mal anders – es gibt ein paar Dinge, die im Analogen viel besser funktionieren als im Digitalen. Wenn man analoge Geräte verkettet, geschieht das latenzfrei. Ist die Verkettung nicht seriell, sondern parallel, wird es noch komplizierter. Wenn man so etwas clever umsetzt, kann man diverse Vorteile daraus ziehen. Ein anderer Aspekt ist, dass für mich das Analoge immer das Original ist. In der digitalen Welt gibt es im-mer nur Abbildungen davon – von einem bestimmten Synthesizer, Gitarrenverstärker, Mikrofon, Schlagzeug. Die Entwicklung geht klar in Richtung ‚Nachahmung‘ oder ‚Virtualisierung‘.
Meiner Ansicht nach müsste der Weg wieder in die andere Richtung führen. Analog ist kein Gegenmodell zur Digitaltechnik, sondern analog sind auch alle Musiker und alle Instrumente. Klar ist der Aufwand weitaus größer, mit Mikrofonen zu arbeiten und auch den Klang damit final zu bestimmen. Wir müssen wieder lernen, am Anfang die Qualität zu definieren. Dabei mache ich Fehler, muss probieren…
Fritz Fey: Diese Art der Produktion, die es ja schon gegeben hat, wird heute als Luxus betrachtet. Man braucht gut klingende Räume, viele Mikrofone, Musiker – alles sehr teuer. Das gibt es ‚so ähnlich‘ für Neunundzwanzigneunzig im Computer. Wir sitzen ja hier in einem Raum, der akustisch geplant und ausgebaut wurde. Ist das Deine private Musikspielwiese oder auch die Teststation für Deine analogen Entwicklungen?
Ruben Tilgner: Ich habe diesen Raum, um den Produktionsprozess zu verstehen, mache hier aber auch mit Künstlern Aufnahmen für eigene Projekte. Das ist ein gewisser Luxus, den sich die Firma leistet, aber ich möchte einfach herausfinden, wie ich bei der Aufnahme ein optimales Signal hinbekomme. Wie unterscheiden sich Mikrofon-Vorverstärker, wie klingen die Mikrofone? Wo kann ich analoge Geräte effizient einsetzen? Die Qualität entscheidet sich am ehesten an der Quelle. Es ist doch absurd, haufenweise Plug-Ins auf ein eigentlich schlechtes Signal zu werfen, damit es brauchbar wird. Woher kam die Magie der früheren Aufnahmen, die heute so oft fehlt? Die Technik, die ich entwickle, ist in diesem Prozess nur ein kleiner Teil, die aber an der entscheidenden Stelle eingesetzt werden muss. Unsere Industrie versucht, den Anwendern zu vermitteln, dass das Werkzeug im Vordergrund steht.
Fritz Fey: Du hast ja ein paar Türen weiter auch eine Regie, die von Dennis Busch geplant und baulich umgesetzt wurde. Hast Du aktuell ein eigenes Musikprojekt?
Ruben Tilgner: Ja, habe ich, aber ohne kommerzielle Interessen. Ich arbeite aktuell mit einer Künstlerin zusammen, komponiere und produziere Songs mit ihr. Mir fehlt aber natürlich in erster Linie die Zeit, daraus mehr entstehen zu lassen.
Fritz Fey: Anderes Thema – als Du mir vorhin die Fertigung zeigtest, hatte ich das Gefühl, Du hättest eine gewisse prophetische Gabe, denn es sieht so aus, als hättest Du schon vor längerer Zeit angefangen, Dich fertigungstechnisch unabhängiger zu machen. Hast Du die aktuelle Beschaffungsproblematik, unter der viele Unternehmen leiden, vorausgesehen?
Ruben Tilgner: Natürlich ist für mich als Entwickler der Produktionsprozess eine sehr spannende Angelegenheit. Vor vielen Jahren hatte ich die Gelegenheit, mir die Fertigung bei Rohde & Schwarz anzusehen. Als elysia damals aus dem Keller hier in dieses Gebäude umzog, fing ich an, über dieses Thema nachzudenken. Mit prophetischer Gabe hat das eher weniger zu tun, sondern damit, eine Produktion sinnvoll umzusetzen, besonders in Hinblick auf die geringen Stückzahlen, die wir im Vergleich zu großen Herstellern erzeugen.
Man muss dazu schon eine Menge Geld in die Hand nehmen, um entsprechende Maschinen zu kaufen. Die Idee, wie wir heute produzieren, hatte ich schon vor fünf oder sechs Jahren. Es hat sich sehr bewährt, Lieferzeiten steuern zu können, unabhängiger in Bereich Metallverarbeitung oder SMD-Bestückung zu sein. Was wir hier praktizieren, könnte man als ‚professionelle Kleinserie‘ bezeichnen. Hier sitzen natürlich nicht lauter Leute, die alles per Hand zusammenlöten, was man immer so treffend als ‚Manufaktur‘ beschreibt.
Unser SMD-Bestückungsautomat würde in einem anderen Umfeld vielleicht 200 Platinen bestücken, bei uns eher nur 30, aber eben bei gleicher professioneller Qualität. Auch durch die Metallteile, die wir alle komplett selbst fräsen, schaffen wir uns eine sehr hohe Unabhängigkeit, aber wir lernen auch die Fertigungsprozesse kennen, wie man beispielsweise einen Rüstwechsel von einem zum anderen Produkt vereinfachen kann.
Fritz Fey: Erlebst Du in der Zwischenzeit das, was auch andere Hersteller beklagen, nämlich die schlechte Verfügbarkeit von Bauteilen und/oder exorbitant hohe Preise?
Ruben Tilgner: Sagen wir mal so – im Elektronikeinkauf gab es schon immer Probleme mit einer sofortigen Verfügbarkeit, wenn man, wie wir, 600 verschiedene Bauteile einkaufen muss. Wir hatten zum Beispiel schon vor anderthalb Jahren Beschaffungsprobleme bei bestimmten Widerstandstypen, worauf hin wir auf eine Alternative umstellten. Es gibt natürlich Bereiche mit richtig ernsthaften Beschaffungsproblemen, zum Beispiel Microcontroller, FPGAs und AD/DAs – aber da wir diese gar nicht einsetzen, sind wir nicht davon betroffen und konnten für unseren Bereich immer Lösungen finden und unsere Lieferfähigkeit hoch halten. Natürlich steigen die Preise, aber das heißt nicht, dass wir ständig unsere Preislisten aktualisieren müssten.
Fritz Fey: Du stehst ja als Entwickler von Klangwerkzeugen im Dienst der Musik und stellst dabei an Dich sehr hohe Ansprüche an die Qualität. Inwieweit fühlst Du Dich damit in der heutigen Chartmusik noch abgebildet?
Ruben Tilgner: Das ist ein schwieriges Thema, da ich ja nicht wissen kann, welche Kunden mit meinen Geräten welche Musik produzieren. Die aktuellen Charts empfinde ich generell als problematisch, da Popmusik zwar populär, aber nicht sonderlich anspruchsvoll ist. Wenn ich dazu auf die 80er Jahre zurückschaue, wurden die besten Studiomusiker und Produzenten in aus heutiger Sicht sündhaft teure Studios eingeladen, um zum Beispiel für ein Michael Jackson Album zu arbeiten, das bis heute eine Referenz darstellt. Jetzt sind viele Produktion das Gegenteil davon: nur sehr mäßig talentierte Sänger, die mit Autotune geradegezogen werden. Man hört eigentlich keine Musiker mehr, kein Instrument, sondern Klangbausteine, die über ein Arrangement verteilt werden. Dann beginnt die mühsame Arbeit, das irgendwie mit technischen Mitteln lebendig klingen zu lassen, weil die Quelle nicht lebendig ist. Wenn man das analoge Thema mal ein bisschen breiter greift, findet eigentlich gar nichts mehr analog statt und kein Finger berührt mehr ein Instrument. Ein weiterer Aspekt ist die Loudness-Welle, die keineswegs zu Ende ist.
Vieles ist immer noch extrem an die Wand gefahren, so dass ich mich oft frage, ob der Hörer das wirklich will. Es gibt natürlich immer noch eine Menge Leute da draußen, die auch einen hohen Anspruch an Qualität haben und ich hoffe natürlich, dass ich mit meinen Entwicklungen einen positiven Beitrag leiste.
Fritz Fey: Ich glaube, es gibt eine relativ hohe Dunkelziffer von guter Musik (grinst), die aufgrund der Distributionsstrukturen nicht so schnell entdeckt oder, anders gesagt, von Müll verschüttet wird.
Ruben Tilgner: Das stimmt, aber ich will auch nicht falsch verstanden werden. Es müssen nicht um jeden Preis lebende Menschen Instrumente spielen, denn es gibt ja auch im Elektronikbereich ganz tolle Produktionen. Es geht um eine gewisse Philosophie. In den 90ern gab es einige Alben, die mich inspiriert haben, toll aufgenommen, tolle Räumlichkeit, sehr dynamisch. Das hat bei mir die Vorstellung geprägt, wie Geräte klingen müssen, um diesen Sound zu erreichen – größer und dreidimensionaler. Wenn man eine Produktion so dermaßen plattbügelt, wie das heute oft geschieht, sträubt sich alles in mir und mit dieser Ansicht bin ich glücklicherweise auch nicht allein…